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Politische Thesen zum 1. Parteitag der Europäischen Linken

  • Dienstag, 16. August 2005 @ 20:32
Europa Einleitung
Der 1. Kongress der Partei der Europäischen Linken findet in einer wahrhaft außergewöhnlichen Zeit statt: Wir stehen heute vor der großen Herausforderung, eine neue Phase der politischen und sozialen Entwicklung Europas zu eröffnen. Hinter uns liegt ein Jahr, das viele neue Entwicklungen und Chancen gebracht hat. Ein anderes Europa aufzubauen ist heute nicht nur möglich, sondern unabdingbar.

Wir erleben jetzt die Schmerzen der voll ausgebrochenen Krise des neoliberalen Modells und der neoliberalen Politik. Diese Krise schleppt sich seit Ende der 90er Jahre hin. Seitdem hat man sie mit reaktionären sozialen und politischen Mitteln zu lösen versucht, die immer weiter nach rechts gingen. Die Rechte hat ihre politische Strategie neu konzipiert und dabei Ultraliberalismus mit Autoritarismus, Populismus mit Proamerikanismus verbunden. Die politische Hegemonie der Neokonservativen steckt zwar in einer tiefen Krise, verursacht aber nach wie vor großen Schaden – von der anhaltenden militärischen Besetzung des Irak bis zu der Drohung, im permanenten globalen Krieg eine neue Front zu eröffnen. Die Krise wächst sich also zu einer Gefahr für Freiheit und Sicherheit der Mehrheit der Weltbevölkerung aus. Das ist kein allgemeiner Zustand mehr, den man auf die „Auswüchse“ der neoliberalen Globalisierung zurückführen kann. Es ist das Ergebnis der bewussten Entscheidung, im Rahmen des heute dominierenden Gesellschaftsmodells die Dynamik der kapitalistischen, patriarchalen und gegen die Umwelt gerichteten Ausbeutung und Unterdrückung weiter zu vertiefen.

Wir sehen unsere Aufgabe darin, die Rechte und ihre Politik mit einem eindeutig linken Vorgehen zu schlagen, das die strategische Impotenz der Reformpolitik überwinden soll. Dafür setzen wir all unsere Kraft ein – nicht deswegen, weil wir unsere eigene Stärke, die der Bewegungen oder der alternativen Linken überschätzen, sondern weil wir überzeugt sind, dass die Realität die politischen Alternativen und Konflikte immer weiter radikalisiert. Die Linke des Kontinents benötigt dringend eine Führung. Dieser Herausforderung kann sich das alternative, linke Subjekt der Partei der Europäischen Linken nicht entziehen. Die EL ist in der Lage und gefordert, ein politischer Protagonist der Veränderung der Politik auf unserem Kontinent, ein Element der Veränderung von Politik zu werden und so ihre eigene Krise immer wirkungsvoller zu überwinden.

Ein glänzendes und ermutigendes Beispiel für unser Agieren sind die Ergebnisse des Referendums über den Verfassungsvertrag in Frankreich. Mehrere Elemente haben geholfen, sichtbar zu machen, über welches Potential für einen neuen öffentlichen Raum in Europa die für Veränderung eintretenden Kräfte verfügen. Das sind vor allem die hohe Wahlbeteiligung und die leidenschaftliche Debatte, die das Referendum ausgelöst hat. Menschen, die in der Erarbeitungsphase völlig ausgeschlossen waren und den Text nicht kannten, drängten nun auf die Bühne und lehnten ab, für eine vorgegebene Sicht auf Europa vereinnahmt zu werden. Dass die Beteiligung in Frankreich so hoch war wie in den letzten 15 Jahren nicht, ist symbolisch für ganz Europa. Denn in den meisten EU-Mitgliedstaaten wurde die Ratifizierung durch eine Parlamentsabstimmung vollzogen, weil man das Risiko der Demokratie vermeiden wollte, das ein Referendum in sich birgt. Was den Inhalt der Verfassung betrifft, so ist uns jetzt bewusst geworden, wie stark die Gegnerschaft zu einem neoliberalen Europa ist. Denn der wachsende Widerstand gegen den Vertrag erhielt zweifellos einen enormen zusätzlichen Schub durch die Demonstration vom 19. März in Brüssel, die erste dieser Art, die ein soziales Europa forderte. Das Nein ist also eine Ablehnung des merkantilistischen Inhalts des Vertrages und des funktionalistischen Zusammenhangs, in dem die Europäische Union gegründet wurde (Wirtschaftsverträge, Europäische Zentralbank, Einheitswährung, Richtlinien der Kommission). Die Gegnerschaft gegen den Vertrag wurde weitgehend bestimmt von linken Ideen und Forderungen der Gesellschaft nach Gleichheit und Gerechtigkeit, die aus der wachsenden Sorge der Mehrheit der Menschen um ihre Lebensbedingungen herrühren.

Im Gegensatz zu den Behauptungen der heftigsten Befürworter des Verfassungsvertrages ist das Nein keine mögliche Ursache für einen Rückschritt, sondern Ausdruck der Krise des sozialen und demokratischen Zusammenhalts. Mit der Bekräftigung des Nein können wir noch klarer herausstellen, wie notwendig es ist, ein neues Europa zu errichten.

Politisch gesehen, hat die linke Opposition ein einheitliches Lager gebildet, in dem sie selbst klar zu erkennen war. Das war keine Einheit, die am Grünen Tisch zusammengezimmert wurde, sondern das war Übereinstimmung in den Zielen und in der gemeinsamen Aktion, die sich zusätzlich zu der bereits bestehenden Praxis des Zusammenwirkens mit den sozialen Bewegungen herausgebildet hat. Hier nimmt eine Vision Gestalt an, die wir für entscheidend halten. Zum ersten Mal entsteht eine populäre, linke proeuropäische Strömung.

Es ist das gemeinsame Ziel aller Kräfte, die die Partei der Europäischen Linken gegründet haben, einen wahrhaft europäischen öffentlichen Raum wiederzugewinnen, in dem ein anderes Europa entstehen soll – einen politischen Raum, dessen Hauptakteure zunehmend die Bürger der EU, die sozialen Bewegungen und die demokratischen Organisationen der Gesellschaft sind. Unser Hauptziel als politisches Subjekt besteht darin, eine neue Art von Demokratie zu befördern. Partizipation ist der erste Beitrag den wir für notwendig halten, um die Politik radikal zu reformieren, um sicherzustellen, dass die undemokratische Spirale von neoliberaler Globalisierung und Krieg gestoppt werden kann. Heute können und müssen wir auf eine Gesellschaft hinarbeiten, die dem Markt, absolutem Wettbewerb, sozialer Ausgrenzung und Krieg die Führerschaft entreißt. Heute können und müssen wir eine Gesellschaft errichten, deren Grundwerte Freiheit, Gleichheit und Frieden sind.

I. Frieden schaffen
Jahrhunderte lang war Europa Schauplatz blutiger Konflikte. Mit dem Kolonialismus hat es Gewalt, Ungerechtigkeit und Unterdrückung exportiert. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der verschiedenen Partisanenkämpfe, deren 60. Jahrestag wir in diesem Jahr begehen, schien es möglich, den Krieg aus der Geschichte zu verbannen. Auch die Genesis der politischen Einheit Europas ist auf diese Forderung zurückzuführen. Leider erleben wir immer noch Krieg in unserem Alltag, ja, er hat sich in ihm eingenistet und ist fast allgegenwärtig geworden. Europa ist auf Grund seiner geopolitischen Stellung berufen und in der Lage, Frieden zu befördern und zu garantieren.

Aber Frieden bedeutet nicht nur Abwesenheit von Krieg, sondern dynamisches Eintreten für dieses Ziel auf allen Ebenen. Das ist möglich seit dem gemeinsamen Diskurs all derer in Europa, die sich gegen präventive Kriege wenden. Radikale Gegnerschaft gegen Krieg, Terrorismus und jeglichen Kampf der Kulturen ist die erste Bedingung für das Europa, das wir errichten wollen.

Ebenso ist die politische Eigenständigkeit Europas gegenüber den USA eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass unser Kontinent in der Welt real eine stärkere Rolle spielen kann. Ein Europa des Friedens muss einen politischen und wirtschaftlichen Umbau anstreben, so dass Frieden zum immanenten Bestandteil eines neuen Gesellschaftsmodells wird.

Die kapitalistische Globalisierung war nie und ist auch heute nicht nur ein Prozess der wirtschaftlichen Reorganisation des Kapitals. Sie hat sich als außerordentlich starke Triebkraft für die Reorganisation der Macht im Weltmaßstab erwiesen. Sie war das Werkzeug, mit dem eine umfassende konservative Revolution herbeigeführt wurde. Diese hat die Weltordnung, die im Gefolge des Sieges über den Nazismus und Faschismus entstanden ist, dessen 60. Jahrestag wir in diesem Jahre feiern, in ihren Grundfesten erschüttert. Die traditionelle Form des Nationalstaates kommt ins Wanken, neue Führungslinien entstehen, die die geopolitische Struktur der gesamten Welt in Mitleidenschaft ziehen. Das bedeutet nicht, dass der Nationalstaat bereits im Sterben liegt, wie manche eilig erklären. Aber es bedeutet, dass mit nationaler Politik allein nicht mehr erklärt werden kann, wie sich die Globalisierung in der Praxis entwickelt. Daher müssen wir heute das Problem, wie die kapitalistische Gesellschaft zu verändern ist, im weltweiten Rahmen stellen. In diesem Rahmen erhält das Thema Europa, die Frage nach seinem politischen, sozialen, wirtschaftlichen, institutionellen und kulturellen Wesen, einen entscheidenden strategischen Platz für die Kräfte der Veränderung, die auf unserem Kontinent leben.

Die neoliberale Globalisierung steckt heute in der Krise. Diese wird auch von der Unfähigkeit verursacht, positive Antworten auf die Fragen zu finden, die sie selbst gestellt hat. Von Anfang an hat die neoliberale Globalisierung versprochen, sie sei das „Ende der Geschichte“, der Endzustand des Neokapitalismus, der auf Jahre hinaus Stabilität verheiße. In Wirklichkeit aber zeigt sich die neoliberale Globalisierung als ein stabiler Mechanismus für die Produktion von Mehrwert, der zugleich Ungleichheit und soziale Ungerechtigkeit weiter verschärft. Das hat zum Ausbruch der verheerenden Krise geführt.

Die Krise der kapitalistischen Globalisierung hat diejenigen zu regressiven und reaktionären Antworten bewegt, die bisher behauptet haben, sie sei die Lösung für alle Schicksalsfragen der Menschheit. Die Politik der wirtschaftlichen Rechten ist noch radikaler geworden, um ihren Interessengruppen weltweit die Führungsposition zu sichern. Krieg ist wieder als struktureller, dem System wesenseigener Faktor eingeführt. Daher bringt die Krise weltweit Instabilität und Unsicherheit hervor. Mehr als jeder andere verkörpert George W. Bush diese neue Phase. Die Doktrin vom Präventivkrieg, der unbestimmt und endlos ist, bringt die USA in den Mittelpunkt des unipolaren Systems dieser Welt. Bush hat sich für den Unilateralismus entschieden, um für Politik keinerlei Raum zu lassen.

Krieg ist also nicht nur eine neue Strategie, um die Ressourcen unseres Planeten zu kontrollieren und zu demonstrieren, dass der neue Kapitalismus vor nichts Halt macht, wenn es um die Naturressourcen geht, die er für sich beansprucht. Krieg tritt an die Stelle aller Regeln internationalen Zusammenlebens und der Achtung grundlegender Rechte der Menschheit. Die Drohung mit einem Kampf der Kulturen wird zum Rauchvorhang, hinter dem die verheerende, reaktionäre Arroganz der kapitalistischen Globalisierung hervorlugt.

Der Kampf zwischen Krieg und Frieden ist heute aktueller denn je. Wenn Krieg von der kapitalistischen Globalisierung herrührt, dann kann Frieden nur durch Intensivierung aller Formen von Opposition, Widerstand und Widerspruch auf globaler Ebene – auch von Staaten und Regierungen – erreicht werden.

Die neue Friedensbewegung, die andere „Weltmacht“, die in dieser Phase entstanden ist, kann und muss das enge Verhältnis enthüllen, das zwischen dem neoliberalen Gesellschaftsmodell und dem von der kapitalistischen Globalisierung verursachten Krieg besteht. Sie muss für ein alternatives Gesellschaftsmodell arbeiten. Die neue Friedensbewegung ist eine waffenlose und nach Abrüstung strebende Kraft. Sie verkörpert eine Idee des Friedens, die nicht nur Abwesenheit von Krieg oder ein Gleichgewicht der Waffen bedeutet, sondern nach einem Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell strebt, das eine Alternative zu Neoliberalismus und Krieg darstellt.

Dieses neue Modell muss nachhaltig sein, oder es wird nicht sein. Heute ist der Zusammenhang zwischen Krieg und Umweltzerstörung deutlicher als je zuvor. Modelle von Produktion und Konsumtion, die nicht nachhaltig sind, zu verändern, ist nicht nur ein intelligenter Vorschlag, sondern ein Erfordernis des Friedens.

Daneben haben wir auch das andere Gesicht des Krieges, den Terrorismus, zu bekämpfen. Das politische Projekt des Terrorismus, das vom Krieg unabhängig ist, jedoch von ihm angetrieben wird, stellt in erster Linie einen Feind des Volkes und der Demokratie dar. Terrorismus ist der Wille, die Macht gegen das Volk zu ergreifen, das er nach seiner Propaganda eigentlich vertreten will, und ein Gesellschaftsmodell zu etablieren, das auf extremer Gewalt beruht.

Terrorismus nährt reaktionärste rechte Positionen, weil er als Vorwand benutzt wird, um hart erkämpfte Rechte und Freiheiten anzugreifen. Die Antwort auf den Terrorismus können nicht mehr Krieg und Unterdrückung, sondern nur mehr Demokratie und mehr Rechte sein.

Die Politik kann nur durch den Kampf gegen den Krieg und für den Frieden wiedergewonnen werden. Wie es keinen Frieden ohne Gerechtigkeit gibt, kann es auch keine Gerechtigkeit ohne Frieden geben.

Die internationale Rolle der Europäischen Union ist ebenfalls ungewiss und widersprüchlich. Einerseits ist sie ungewiss, weil Europa über sein Verhältnis zu den USA tief gespalten ist. Einige Staaten hatten keine Zweifel, sich dem Irak-Krieg anzuschließen. Andere haben das abgelehnt, wieder andere änderten ihre Haltung vor allem unter dem Druck der Öffentlichkeit, die sich weithin gegen das militärische Eingreifen aussprach. Europas Rolle ist aber auch widersprüchlich, weil es sich nicht in der Lage zeigt, gemeinsame Interessen der Europäischen Union zu vertreten. Daher haben wir das Fehlen eines Artikels gegen den Krieg im Vertrag für eine Europäische Verfassung verurteilt. Daher sehen wir die Errichtung europäischer Streitkräfte unter der Kontrolle der NATO, im Klartext: der Kontrolle der USA, als eine Bedrohung der Unabhängigkeit und Selbständigkeit der EU und brandmarken zugleich neue massive Investitionen in die Rüstung.

Deshalb schlagen wir die Reduzierung der Militärausgaben aller Staaten, die Schließung der Militärbasen der USA und die Auflösung der NATO vor.

Die Außenpolitik der Europäischen Union muss auf Frieden und politische Vermittlung in Streitfragen gerichtet sein. Am Anfang könnte der israelisch-palästinensische Konflikt stehen. Die Europäische Union sollte auch bei der Reformierung der internationalen Organisationen, vor allem der UNO, eine wichtige Rolle spielen, um weltweit ein neues Kräfteverhältnis durchzusetzen, das auf freiem Zusammenleben und Achtung der Rechte der Völker beruht. Eingedenk seiner tragischen Vergangenheit von Kriegen und Kolonialismus ist Europa angehalten, die Welt nicht aus eurozentrischer Sicht zu betrachten, sondern den neuen Herausforderungen globaler Gleichheit gerecht zu werden. Deshalb schlagen wir vor, dass Europa für eine radikale Umstrukturierung der internationalen Wirtschaftsorganisationen Verantwortung übernehmen muss. WTO, IMF und Weltbank dürfen nicht länger Herrschaftsinstrumente sein, die weitere Ungerechtigkeit hervorbringen. Einige dieser Institutionen sollten völlig abgeschafft und durch andere ersetzt werden. Andere, die bereits bestehen, könnten direkt der UNO unterstellt werden.

Ebenso fordern wir, anstelle der Einführung einer Freihandelszone im Mittelmeerraum, die für 2010 vorgesehen ist, mit allen Staaten der Südküste des Mittelmeeres ein Partnerschaftsabkommen auf gleichberechtigter Grundlage zu schließen. Dort, wo in der Vergangenheit Freihandelszonen eingeführt wurden (zum Beispiel die NAFTA zwischen Mexiko und Nordamerika), haben sich Ungleichheit und Ungerechtigkeit massiv verschärft, was vor allem die schwächsten Teile der betroffenen Gesellschaften zu spüren bekommen. Wo heute noch Freihandelszonen vorgesehen sind (zum Bespiel die FTTA) stoßen sie bei den Völkern auf enormen Widerstand.

Die Europäische Linke setzt sich für die Verteidigung und die Durchsetzung des Friedens nicht als utopische Idee, sondern als soziales und politisches Konstrukt ein, das bei einem anderen Entwicklungsmodell möglich wird. Nur ein Europa, das eine wirtschaftlich gleiche, sozial gerechte, kulturell vielfältige und ökologisch nachhaltige Entwicklung hervorbringt, wird auch in der Lage sein, unabhängig von den USA für das Prinzip des Friedens in der Welt einzutreten.

II. Ein anderes Wirtschaftsmodell für ein soziales Europa entwickeln
Der erste Schritt auf dem Weg der Europäischen Linken zu einem anderen Entwicklungsmodell muss darin bestehen, Europa zum Abgehen von seiner Wirtschaftspolitik der letzten zehn Jahre zu bewegen, deren Konsequenz die Demontage des Sozialstaates war. Dieses Europa aufgezwungene Wirtschaftssystem ist gescheitert. Damit ist es noch nicht tot, aber die Politik zugunsten der herrschenden Klassen konnte nur mit äußerst geringem Wirtschaftswachstum erkauft werden. Europa muss heute entscheiden: Entweder mehr Neoliberalismus, das heißt, noch weniger europäische Originalität und weitere Annäherung an das nordamerikanische Modell, was zu einer weiteren Zuspitzung der sozialen Krise führen und die Tür für den Kampf der Kulturen öffnen würde, oder ein neues Wirtschaftsmodell, in dem die Prioritäten von der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit auf die Rechte der Völker verschoben werden.

Um das zu erreichen, brauchen wir einen neuen öffentlichen Raum in Europa, der auf neuem demokratischem Engagement beruht und die Klassenverhältnisse umkehrt. Dass dies möglich ist, haben uns die Erfahrungen der vergangen Jahre, insbesondere die Kämpfe der sozialen Bewegungen und das französische Nein zum Vertrag über die Europäische Verfassung gezeigt.

Das neue Europa wird aus der Kritik am gegenwärtigen Wirtschaftsmodell erwachsen. Das ist eine neue Perspektive, die schwierig, aber möglich erscheint. Eine Perspektive zugunsten der Arbeiter, der Frauen, der Umwelt, der Migranten, der Jugend. Eine Perspektive, die auf neue Rechte in Arbeit, Umwelt und sozialen Fragen gerichtet ist, die die Grundlagen einer neuen Entwicklung bilden. Kämpfe für diese Rechte sind wichtig, denn in ihnen zeigt sich der Drang nach Veränderung, der sie zu Kämpfen für soziale Transformation werden lässt.

Die Vereinigung des Kampfes für politische, soziale, wirtschaftliche und Bürgerrechte, die traditionell die Linke einfordert, mit dem Kampf für ökologische, kulturelle und technische Rechte, für die die sozialen Bewegungen sich einsetzen, ist heute notwendig und möglich. Die sozialen Bewegungen haben die Debatte über das Recht auf gemeinsame Grundgüter, wie zum Beispiel Wasser, eröffnet, das den genannten Rechten gleichzusetzen ist. Die Zeit und die Bedingungen sind reif, einen gemeinsamen Kampf für Menschenrechte und Grundgüter zu führen.

Entgegen der Logik des Kapitals, das für den schnellen Profit hemmungslos Ressourcen verschlingt, treten wir für die menschliche Logik ein, den künftigen Generationen eine bessere Welt zu hinterlassen als die, in der wir heute leben. Die Angriffe gegen die Rechte der Arbeiter und gegen die Umwelt verfolgen das gleiche Ziel – in der globalisierten Welt die Lebensbedingungen der Menschen zu verschlechtern, um die Profite der Unternehmen zu maximieren. Für Umwelt- und Arbeiterrechte zu kämpfen ist im 21. Jahrhundert eine Pflicht der Solidarität und zugleich eine intelligente Antwort auf die verfehlte Wirtschaftslogik.

Aus diesem Grunde müssen wir das Primat von Markt, Wettbewerb und Wachstum in Frage stellen. Statt dessen ist das Primat des öffentlichen Interesses über den Markt notwendig. Damit ist aber nicht nur der Nationalstaat gemeint. Unser Begriff des öffentlichen Interesses umfasst heute Demokratie auf verschiedenen Ebenen, die staatliche Institutionen, Lokalverwaltung und breite Formen direkter Teilhabe der Bürger zu einem Ganzen zusammenfügt.

Das stellen wir uns für Europa vor.

Man kann einwenden, dass dies eine sehr weitgehende Idee fern von den aktuellen ökonomischen Prozessen ist. Aber das heutige Modell ist unfähig, die Krise zu überwinden. Kein Ökonom kann heute die Frage beantworten, wie eine globale Wirtschaft überleben und wachsen soll, ohne Löhne und Arbeiterrechte zu beschneiden oder die Naturressourcen zu erschöpfen.

Möglicherweise liegt die größte Perversion dieses Modells der Globalisierung darin, dass der Kampf für Rechte benutzt wird, um die Arbeiter der verschiedenen Länder gegeneinander zu hetzen. Es heißt, wenn wir Arbeiterrechte, soziale Rechte oder Umweltrechte verteidigen, dann werden die Unternehmen in andere Länder abwandern, wo es solche Rechte nicht gibt. Diese Erpressung mit der Abwanderung von Arbeitsplätzen ist nicht zu akzeptieren.

Das ist der Grund, weshalb wir darauf bestehen müssen, einen neuen öffentlichen Raum in Europa zu schaffen, wo wir uns für gleiche Arbeiter- und soziale Rechte in allen Staaten einsetzen. Der Abwanderung von Arbeitsplätzen kann nur durch soziale Kämpfe, durch das Eingreifen des Staates und die Ankurbelung der Produktion unter Beteiligung der Arbeiter Einhalt geboten werden.

Auf der weltpolitischen Bühne ist Europa für uns der minimale Rahmen für Politik als Ausdruck des Klassenkampfes in dem sich ausprägenden gesellschaftlichen Modell der Globalisierung. Daher wird Europa immer weniger europäisch sein. Aber seine alte Kultur und eigenen politischen Erfahrungen bergen heute noch eigene Chancen. Diese können und müssen mit der Bewegung in Verbindung gebracht werden, die unser Zeitalter prägt. Ein großer Sprung nach vorn zur Wiedergeburt der Politik der unteren Klassen ist möglich und notwendig. Wenn sie wieder eine führende Rolle spielen wollen, dann müssen sie sich an der Suche nach Auswegen aus der Krise der Politik beteiligen. Frieden und eine Veränderung der derzeitigen kapitalistischen Gesellschaft sind die Ziele dieser Herausforderung.

Wie der Krieg ist auch die Krise ein immanenter Bestandteil der kapitalistischen Globalisierung von heute. Prekäre Arbeitsverhältnisse und soziale Unsicherheit beeinträchtigen die Beschäftigung und das Leben des Volkes ebenso wie die Wirtschaft und die kapitalistische Entwicklung. Instabilität und Unsicherheit sind Grundeigenschaften des modernen Kapitalismus. Sie vergrößern die Lücke, die zwischen Innovation und sozialem Fortschritt klafft. Das europäische Sozialmodell wird von diesen neuen Entwicklungen überfordert, weil sie seine Grundfesten – Wachstum und Umverteilung – erschüttern. Heute wird immer klarer, dass das auf sozialem Zusammenhalt beruhende Modell zerbricht. Die Wirtschaftskrise wird durch den Umbau der sozialen Sicherungssysteme, durch Privatisierung der Gesundheitsfürsorge und Senkung der Renten auf die Bürger Europas abgewälzt. Die Privatisierung der Dienstleistungen ist der nächste Schritt auf dem Wege der völligen Unterwerfung des sozialen Lebens unter die Gesetze des Marktes.

Daher müssen wir den Kampf aufnehmen, um den Sozialstaat zu verteidigen und auszubauen. Wir müssen uns weigern, den Preis für den wirtschaftlichen Abstieg des Kontinents zu zahlen. Es muss in die Möglichkeit investiert werden, die Wirtschaftskrise durch realistische Vorschläge zur Abwendung von Unsicherheit, prekärer Beschäftigung und schlechten Lebensbedingungen der Völker Europas zu überwinden. Wir setzen uns für das durchaus erreichbare Ziel ein, Vollbeschäftigung und gesicherte Arbeitsverhältnisse für alle Menschen zu erreichen, die in Europa leben und arbeiten.

Aber nur den Sozialstaat zu verteidigen reicht nicht aus. Die krisenhafte Situation, in der wir heute leben, ist vor allem Ergebnis bewusster Entscheidungen, die im Rahmen der Globalisierung getroffen wurden. Diese werden zunehmend durchgesetzt – von der Verlagerung der Produktion über die passive Internationalisierung unserer Wirtschaften bis zur Reorganisierung der Produktion, durch die strukturell ungeschützte Arbeitsverhältnisse entstehen.

Um dieses Modell umzukehren, schlagen wir vor, dass die öffentliche Hand in den strategischen Wirtshaftzweigen investiert, jede Konkurrenz bei den Arbeitskosten vermeidet und Investitionen in neue Technologien tätigt. All das wird aber nur erfolgreich sein, wenn wir an erster Stelle den Kampf für Arbeiterrechte in den Teilen der Welt unterstützen, wo Arbeiter noch unter sklavenähnlichen Bedingungen schuften müssen.

Die Krise, die diese Politik hervorbringt, ist ein Merkmal der Krise der Reformpolitik. Diese Politik wird von zwei einander widersprechenden Haupttendenzen durchgesetzt: Das ist zum einen die These von der Regierbarkeit, die eine neozentristische Struktur für die Globalisierung vorschlägt, wie sie die USA verfolgen, und zum anderen die Suche nach einem neuen Weg der Reformen, die zur erstgenannten Tendenz in einem kritischen Spannungsverhältnis steht. Instabilität und Unsicherheit betreffen auch die reformistische Linke. Letztere kann nicht mehr davon ausgehen, dass sie selbst unveränderlich ist.

Unsere Aktionen müssen sich vor allem darauf konzentrieren, gegen das zunehmend prekäre Wesen der Arbeit anzukämpfen und dieser neuen Schutz zu verschaffen. Statt dessen geht Europa weiter den Weg, die Arbeitsbedingungen systematisch zu attackieren. Beispiele dafür sind die Bolkestein-Richtlinie und die Arbeitszeitrichtlinie, die direkt darauf abzielen, das Produktionssystem zu reorganisieren, um die Position der arbeitenden Menschen weiter zu schwächen. Millionen, vor allem Frauen, junge Menschen und Migranten, sinken zunehmend unter die Armutsgrenze ab. Das ist eine verheerende Entwicklung, die uns vor allem das nordamerikanische Sozial- und Produktionsmodell gebracht hat. Obwohl die neoliberale Politik in der Krise steckt, kann es noch sehr ernste Rückschritte geben, bevor eine Alternative sich durchsetzt.

Diese Alternative muss über die Abwehr der Bolkestein-Richtlinie und die Verteidigung des öffentlichen Sektors hinaus gedacht werden. Wir müssen die Debatte ausweiten auf neue Formen sozialen Wirtschaftens, auf die Schaffung öffentlicher Strukturen, dort, wo es sie noch nicht gibt, oder wo sie schwach sind. Innovation, Verbesserung und Demokratisierung der Führung des öffentlichen Sektors ist eine Aufgabe der Linken.

Eine Alternative zur EU und zu den nationalen Wirtschaftspolitiken ist zusammen mit einer neuen europäischen Arbeiterbewegung in der Lage, die Erfahrungen internationaler Bewegungen, sozialer und Friedensbewegungen zusammenzufassen und zu verhindern, dass Europa, das heute das Primat des Wettbewerbs anerkennt, die sozialen und demokratischen Orientierungen aufgibt, die das Europa geprägt haben, wie es nach dem Sieg über Nazismus und Faschismus in der Nachkriegszeit entstanden ist.

Dies bedeutet: Eine alternative Gesellschaft für Europa erfordert eine radikale Umorientierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik, die die Forderungen der Bewegungen berücksichtigt, die die Arbeitswelt, den Umweltschutz und den Feminismus einbezieht. Der Hebel der Veränderung sind daher Bündnisse politischer, gewerkschaftlicher und sozialer Kräfte mit dem Ziel, eine breite Arbeiterbewegung zu schaffen. Damit meinen wir die Unterstützung einer europäischen Kampagne und gemeinsamer Vorschläge zum Schutz und zur Vertretung von Interessen der Arbeiterklasse. Wir müssen der Marxschen These von der Befreiung der Arbeit wieder Priorität verschaffen. Mit anderen Worten, es geht um die Wertschätzung dessen, was die Arbeitskraft für die Gesellschaft akkumuliert hat, so dass Rechte und Löhne in der Gesellschaft, die nicht zu einem einzigen Markt wird, wieder zu Variablen werden, die von der Vorherrschaft des Business unabhängig sind.

Was die Tarifverträge betrifft, so müssen wir vorschlagen, dieses System in ganz Europa zu verteidigen und die Gefahr zu bannen, die von der in verschiedenen europäischen Richtlinien angestrebten Deregulierung ausgeht.

III. Radikale und partizipative Demokratie durchsetzen
Ein anderes Europa ist nur möglich, wenn die Menschen darüber entscheiden können. Deshalb stellt die Verwirklichung einer partizipativen Demokratie, die die Bürgerinnen und Bürger in die politischen Prozesse einbezieht, einen Kernpunkt unserer Vorschläge dar.

Die Krise der Globalisierung vertieft auch die Krise der Demokratie. Dies ist vor allem eine Krise der individuellen und kollektiven Mittel für demokratische Teilhabe. Eine Gesellschaft, in der soziale Ungerechtigkeit wächst, bringt auch stets das Phänomen der Ausgrenzung hervor. Wir müssen gegen diesen Trend angehen, um wieder einen öffentlichen Raum zu schaffen, wo die Menschen sich beteiligen und in der Demokratie eine führende Rolle übernehmen können. In dieser Richtung arbeitet die Bewegung der Bewegungen überaus erfolgreich und verfolgt genau das Ziel, vor allem den jüngeren Generationen wieder einen politischen Raum zu geben. Wir müssen das Primat des Marktes bekämpfen, der demokratische Rechte seinen Interessen unterwirft. Wir müssen die patriarchalische Gesellschaft zu Fall bringen und wahre Geschlechterdemokratie durchsetzen. Dabei haben wir dagegen anzukämpfen, dass nicht die Frage der Gleichheit und Gleichberechtigung der Frauen aufgeworfen, sondern der Wert und die Notwendigkeit der Unterschiede der Geschlechter bekräftigt wird.

Aus diesem Grunde haben wir den Verfassungsvertrag, der vom Konvent vorgelegt wurde, mit zwei schwerwiegenden Einwänden kritisiert: Der erste ist die Entscheidung, diesen Vertrag nicht von den europäischen Völkern schreiben zu lassen sondern dies zum ausschließlichen Vorrecht der Regierungen der Europäischen Union zu machen. Der zweite ist die Tatsache, dass dieser Vertrag den Markt bei der Schaffung der politischen Einheit Europas absolut in den Mittelpunkt rückt. Wir glauben fest an die historische Notwendigkeit der Einheit Europas. Wir sind überzeugte Proeuropäer. Im Namen einer umfassenderen Demokratie auf unserem Kontinent lehnen wir daher einen solchen Vertrag ab. Unsere Kritik beruht nicht auf neuen Formen des Nationalismus. Wir glauben nicht, dass es möglich ist, den Prozess der Einigung Europas mit einer Rückkehr zum Nationalstaat zu beantworten, denn neben allem anderen wäre dies ein Schritt zurück und ein gefährlicher Rückschlag.

Das Nein im Referendum in Frankreich ist deshalb enorm wichtig für uns. Es war ein linkes Nein, mit dem eine neue Ära einer linken europäischen Idee eröffnet wird. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass dieser Sieg die herrschenden Klassen in eine Krise gestürzt hat, die zu einer Gefahr für die Demokratie werden kann.

Eine Oppositionsstimmung gegen die Regierungen greift in Europa um sich. Auch die letzten Wahlen zum Europäischen Parlament haben gezeigt, wie tief die Kluft zwischen Bevölkerung und Eliten derzeit ist. Wir müssen begreifen, dass es sich hier nicht um die traditionelle politische Auseinandersetzung zwischen Links und Rechts handelt. Man braucht nur daran zu denken, wie sich auf der rechten Flanke Blair und Berlusconi angenähert haben oder wie weit Schröder und Chirac in ihrer unsozialen Politik übereinstimmen. Die genannten Konflikte können eine neue Basis der Linken sein. Die europäische Linke stellt sich dieser politischen Aufgabe. Gegenwärtig sehen wir uns mit der Gefahr konfrontiert, dass sich die europäischen Regierungen angesichts ihrer Niederlage bei den Verfassungsreferenden noch stärker auf nationalistische, unsoziale Positionen zurück ziehen.

Die unsoziale, extrem neoliberale Politik hat für Formationen der extremen Rechten neue Handlungsspielräume eröffnet. In ganz Europa wird diese Gefahr deutlich, ihre Erscheinungsformen sind Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Antiislamismus, Populismus, Gewalt und der Ruf nach gewaltsamem Umsturz. Diese Formationen reichen von offen neonazistischen und neofaschistischen Gruppen bis hin zu Kräften, die Regierungsverantwortung tragen.

Wir werden sie wie bisher mit all unserer Kraft und Entschlossenheit bekämpfen. Wir wenden uns gegen diese Positionen, die von reaktionären, fremdenfeindlichen Rechten überall in Europa vertreten werden. Wir setzen uns für die Erweiterung und Integration Europas ein.

Die Erweiterung der Europäischen Union auf 25 Staaten und die Aufnahme weiterer Kandidaten ist eine Gelegenheit, über das Wesen des Europas, das wir vorschlagen, über seine Ausdehnung und das von uns angestrebte Integrationsmodell nachzudenken.

Wir haben die zehn Beitrittsländer bei ihrem EU-Eintritt herzlich begrüßt, weil wir denken, dass der politische Raum Europa nicht an den ehemaligen Grenzen der Ost-/West-Blöcke endet. Aber wir stellen Verbitterung darüber fest, dass der wohlhabende Teil der EU bevorteilt wird, während keine entscheidenden Schritte erkennbar sind, um gleiche Produktions- und Arbeitsbedingungen in den neuen Mitgliedsländern zu garantieren. Die Union soll zu einem großen Markt für Waren und Kapital werden, in dem keine gleichen Rechte gelten. Mit wirksameren Schritten der politischen Integration könnte aber der extrem pro-atlantischen Haltung vieler jüngst gebildeter Regierungen entgegengewirkt werden.

Einige der Staaten, die 2007 der Union beitreten sollen, werden ähnliche Probleme haben. Die Türkei und Israel geben zu anderen Überlegungen Anlass, da Verhandlungen mit der Türkei bereits ins Auge gefasst, mit Israel dagegen nur angekündigt sind.

Was die Türkei betrifft, so begrüßen wir die mögliche Aufnahme eines mehrheitlich islamischen Landes von solchem Gewicht. Aber wir kommen nicht umhin, die Lösung des Konflikts zwischen der Türkei und Zypern, die volle Anerkennung des Konflikts mit dem kurdischen Volk und Schritte zu seiner Lösung sowie ein volles Bekenntnis zu den Menschenrechten als wesentliche Voraussetzungen dafür anzusehen.

Was den Staat Israel angeht, so stellt sich die Lage komplizierter dar. Zum ersten ist ohne die volle Anerkennung des Palästinenserstaates, ohne ein Ende der Besetzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens eine Entwicklung mit dem Ziel einer Aufnahme Israels in die Europäische Union undenkbar. Im Gegenteil, angesichts des Verhaltens Israels wäre eine Aussetzung des Assoziationsvertrages mit diesem Land erforderlich.

Wir wollen einen wirklichen Verfassungsprozess in Gang setzen, der Teilhabe auf allen Ebenen bedeutet, der das Europäische Parlament zusammen mit den nationalen Parlamenten als erste Instanz einbezieht, um einen Text auszuarbeiten, welcher dann den Völkern in einem Referendum vorgelegt wird.

Ein Lackmustest für Demokratie in Europa besteht darin, ob wir volle Bürgerrechte für Migranten erkämpfen können. Europa ist in der Lage, eine konkrete Politik der Aufnahme von Migranten und des Respekts für all jene zu betreiben, die ihre Heimat aus wirtschaftlichen Gründen oder aus Furcht vor Krieg und Konflikten verlassen. Diese Politik könnte Grundlage für eine Staatsbürgerschaft neuer Art sein. Daher unterstützen wir auch die Kampagne, all denen, die im Bereich der Europäischen Union leben, die Staatsbürgerschaft zu gewähren. Zugleich verurteilen wir die inhumane Praxis der meisten europäischen Regierungen, Migranten abzuweisen, sie über die Außengrenzen der Union abzuschieben und Auffanglager für sogenannte Illegale einzurichten. Wir sind der Überzeugung, dass kein Mensch als „illegal“ definiert werden darf, dass die Institutionen die Integrität und den Schutz jedes Menschen garantieren müssen. Wir kämpfen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, die sich in den letzten Jahren zunehmend gegen jeden richten der „anders“ ist. Alle Formen der Diskriminierung, die sich auf ein Ursprungsland beziehen, sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wir können auch keinerlei Kampagnen gegen den Islam akzeptieren, die einen Kampf der Kulturen provozieren sollen.

Die zahlreichen Aktionen des letzten Jahres gegen den Krieg, gegen die Bolkestein-Richtlinie, für das Nein zum Verfassungsvertrag oder gegen die Armut haben allesamt gezeigt, dass der Neoliberalismus in Europa in einer politischen Krise steckt. Sie haben neue Felder der Übereinstimmung gegen den Neoliberalismus in Europa geschaffen, die die Chance für eine Generalmobilmachung für neue Formen der Demokratie eröffnet. Wir meinen Übereinstimmung, die über die Partei der Europäischen Linken hinausgeht.

Daher besteht eine Hauptaufgabe der Europäischen Linken darin, Demokratie als Mittel der Volksherrschaft zu stärken und zu entwickeln. Reale partizipative Demokratie kann den Völkern und Bürgern Europas die Volkssouveränität zurückgeben.

IV. Bündnisse schmieden
Das wirklich Neue am Beginn dieses Jahrhunderts ist die Entstehung neuer Bewegungen und ihre Fähigkeit, sich zum gemeinsamen Voranschreiten zusammenzuschließen. Sie verkünden der Welt eine neue Chance für Veränderung. Die Aufgabe der europäischen Linken muss es zunehmend sein, das Wesen dieser neuen Bewegungen zu verstehen und sich darauf vorzubereiten, die Ressourcen zu nutzen, die sie hervorbringen. Sie muss sich selbst in die Lage versetzen, zu der Grundidee einer Reform der Politik und ihres Verhältnisses zu den gesellschaftlichen Hauptakteuren einen Beitrag zu leisten. Zugleich – und das ist nicht nur zeitlich gemeint – wird das Scheitern der kapitalistischen Globalisierung für alle unverkennbar. Diese beiden Entwicklungen haben das Thema der Transformation der kapitalistischen Gesellschaft wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Dessen werden sich auch die Bewegungen in zunehmenden Maße bewusst, was in der Losung der Sozialforen „Eine andere Welt ist möglich“ konzentrierten Ausdruck findet. Das Problem ist also benannt, aber nicht gelöst. Ein weiteres Szenario ist eröffnet: die sich verschärfende wirtschaftliche und soziale Krise sowie der Krieg, der dem Kampf der Kulturen vorausgeht. Unsicherheit beherrscht unsere Zeit. Die Alternative „Sozialismus oder Barbarei“ ist wieder brandaktuell.

Die Zeit ist reif. Der Sieg des französischen Nein war Ausdruck von partizipativer Demokratie. Er war die Reaktion des Volkes auf die herrschende Klasse und die Elite. Das Nein hat eine politische Krise zugunsten partizipativer Demokratie und einen gemeinsamen Raum zur Errichtung eines anderen Europas eröffnet. Deshalb müssen wir einen politischen Vorschlag präsentieren, der auf einem Konsens beruht, wie er bisher nicht möglich war.

Dieser Vorschlag enthält zwei Hauptorientierungen:

Wir müssen uns öffnen, nicht abschotten. Wir müssen uns weiter öffnen, nicht nur für politische Parteien. Die Idee, die Europäische Linke zu schaffen, war richtig, denn sie hat sich als die einzige politische Kraft in Europa erwiesen, die zum Verfassungsvertrag Nein gesagt hat. Wir müssen die Europäische Linke stärken und allen gegen den Neoliberalismus kämpfenden Kräften in Europa ein Angebot zur Zusammenarbeit machen. Der erste Schritt könnte die Zusammenarbeit der Verfechter des Nein und des kritischen Ja zum Verfassungsvertrag sein.

Aus diesem Grunde unterstützen wir das Vorhaben des Internationalen Treffens vom 24. Juni in Paris, einen Verfassungsprozess von unten zu beginnen. Das bedeutet, Grundrechte der Bürger der EU zu formulieren, diesen Text auf einer internationalen Zusammenkunft in Rom im Dezember zu bestätigen und dann dem nächsten Europäischen Sozialforum in Athen vorzuschlagen, in allen Ländern der Union mindestens eine Million Unterschriften dafür zu sammeln. Dieses Vorhaben könnte starke Energien freisetzen und vor allem eine neue breite Debatte über europäische Politik auslösen.

Unsere Idee von Europa muss die Linke und die Völker ergreifen. Beide sind unabdingbar für die Entwicklung einer kämpferischen Bewegung in Europa, die große Kampagnen für soziale Rechte und Frieden in Gang setzt, um den Neoliberalismus auf unserem Kontinent zu besiegen und neue Hoffnung für ein Europa der sozialen Gerechtigkeit zu schaffen.

Wir haben die Aufgabe, zur Entstehung einer linken Mehrheit in den Völkern und Gesellschaften beizutragen, die weit über uns hinausgeht, die andere politische Parteien, das Europäische Sozialforum, die sozialen Bewegungen, Feministinnen, Gewerkschaften, andere Volksorganisationen und Einzelpersonen umfasst. Es muss eine Mehrheit sein, die Bündnisse mit allen einschließt, die ein anderes Europa erstreben. Das ist unser Wille.

Schließlich erklären wir Mitglieder und Freunde der Europäischen Linken noch einmal unsere aktive Solidarität mit allen Völkern, Bewegungen und allen Menschen, die unter der Ungerechtigkeit und den verheerenden Auswirkungen der kapitalistischen Globalisierung zu leiden haben. Wir wollen mit allen zusammenwirken, die dagegen und für eine sozial gerechte Welt kämpfen. Gemeinsam werden wir diese Welt erreichen.

Überarbeitete Fassung, Übersetzung aus dem Englischen: Helmut Ettinger, 16. August 2005

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