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Der Präsident und sein Europa

  • Mittwoch, 30. November 2005 @ 18:16
Europa ÖGB-Chef Verzetnitsch klagt über die unschöne Seite der EU
„Das ist nicht das Europa, das wir vor zwölf Jahren gewollt haben“ lamentierte ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch bei der oberösterreichischen Landeskonferenz des ÖGB am 25. November über die EU und bezeichnete diese in einem Anfall von Klassenkampf sogar als „Europa der Konzerne“. Im selben Atemzug versicherte er freilich, „dass es sinnvoll ist, in der EU zu sein“.

Gemäß diesem Credo rüttelte er trotz verhaltener Kritik – sogar an seinen sozialdemokratischen Parteifreunden - natürlich auch nicht an den Grundfesten der EU. Und von Selbstkritik – etwa dass vielleicht jene recht behalten hätten, die vor den heute unübersehbaren Entwicklungen gewarnt hatten oder über die Einpeitscherrolle des ÖGB bei der Volksabstimmung 1994 – ist schon gar keine Rede.

Wenn der ÖGB darauf aufmerksam gemacht wird, dass die von ihm so heftig bekämpfte Dienstleistungsrichtlinie auf den vier Grundfreiheiten basiert, die im Maastricht-Vertrag ebenso wie in der vorläufig gescheiterten Verfassung verankert sind, wird man schnell als europafeindlich abgestempelt. Als ob nicht jene die mit massiven Sozialabbau und Massenarbeitslosigkeit für zunehmenden Frust und damit EU-Feindlichkeit sorgen die wirklichen Europafeinde wären.

Der Präsident beklagte, dass mit der Verfassung auch die Charta der Grundrechte beschlossen wurde – und gleichzeitig weiter eiskalt Sozialabbau betrieben wird. Da stellt sich doch die Frage, was denn die Verfassung eigentlich wert ist? Ebenso kommt Verzetnitsch in Argumentationsnotstand, wenn er an der Lissabon-Strategie – welche die EU bis 2010 zur stärksten Wirtschaftsmacht der Welt und damit auch ökonomisch supermachtsreif machen soll – ankert und gleichzeitig resignierend feststellt, dass diese an der Politik der nationalen Regierungen scheitert.

„Initiativ für einen Politikwechsel in Europa“ greift angesichts der Fakten ebenso eindeutig zu kurz wie die Losung „Wir sind Europa“, mit welcher der ÖGB im März 2005 in Brüssel demonstrierte. Es wird nicht bloß „zuwenig bedacht“, dass die EU eine Wirtschafts- und Sozialunion ist – ihr Konzept ist vielmehr so angelegt, dass ein „soziales Europa“ wie es nach dem Fiasko mit der Verfassung in Frankreich und den Niederlanden verstärkt propagiert wird, eigentlich gar nicht möglich ist.

Da wird nämlich in Brüssel sehr strikt festgelegt, wie hoch Budgetdefizite und Inflation sein dürfen. Beschäftigung und Sozialpolitik hingegen sind nationale Angelegenheit. Wenn man aber den Regierungen bis hinunter auf Gemeindeebene vorschreibt, eine restriktive nachhaltige Budgetsanierung durchzuführen, ist Sozialabbau vorprogrammiert. Wäre die EU sozial, dann müssten Beschäftigung, Sozialquote oder ähnliche Kriterien gelten. So aber braucht man sich über 19 Millionen registrierte und weitere 13 Millionen nicht gemeldete Arbeitslose nicht zu wundern.

Die EU ist zwar willens und in der Lage die Bezüge der ParlamentarierInnen auf hohem Niveau zu vereinheitlichen, schafft dies aber nicht etwa mit den Steuern. Im Ergebnis werden insbesondere einzige Ostländer mittels Flat-Tax zum Steuerparadies für die Konzerne – und kassieren zum „Ausgleich“ für die entgangene Steuer Zuschüsse auf Kosten der Nettozahler…

Das große Zittern gilt derzeit der „Bolkestein-Direktive“: Wenn das darin vorgesehene Herkunftslandsprinzip – auch wenn verwässert – durchgeht, ist das Dumping bei Arbeitsrecht, Sozialstandards, Löhnen, Umweltstandard, Konsumentenschutz usw. vorprogrammiert. Im ÖGB empört man sich immer noch mächtig, wenn der Europäische Gerichtshof Urteile fällt, die ganz im Sinne der Konzerne sind.

Ein litauisches Unternehmen ging jetzt zum Kadi, weil es von einem Bauauftrag in Schweden wegen Fehlens des dort gesetzlich vorgeschriebenen Kollektivvertrages ausgeschlossen wurde. Aber wenn sich der EuGH auf die vier Grundfreiheiten beruft, handelt er letztlich nur EU-gesetzeskonform, denn die „Freiheiten“ stehen nun einmal über allen anderen Werten…

Ende Oktober 2004 hatte der Präsident die EU-Verfassung kritisiert, weil sie keine Sozialunion beinhaltet und eine Gefährdung der Neutralität bedeutet und er verband dies mit der Forderung nach einer Volksabstimmung. Aber trotz dieser Kritik stimmten dann alle GewerkschafterInnen im Nationalrat und Bundesrat der EU-Verfassung zu und lehnten eine Volksabstimmung ab.

In Frankreich scheuten sich die Gewerkschaften nicht im Vorfeld der Volksabstimmung über die Verfassung den Zusammenhang derselben mit der Dienstleistungsrichtlinie aufzuzeigen und erreichten damit eine massenhafte Sensibilisierung und Mobilisierung, die schließlich zum klaren „Non“ führte.

„Seit Maastricht hat sich die Furcht vor dem Sozialabbau bis in das gehobene Angestelltenmilieu breit gemacht“ schrieb die großbürgerliche „FAZ“ am 27. Mai 2005. Laut der Studie des regierungsnahen deutschen Forschungsinstituts SWP ist die Forderung nach einem „sozialerem Europa“ unrealistisch: Eine „offene Diskussion über konkurrierende europäische Sozialmodelle“ soll Frankreich überzeugen, dass Frankreich sein Sozialmodell „den wirtschaftlichen Gegebenheiten in der EU anpassen muss“. Und das gilt natürlich genauso für Österreich.

Würden unsere Gewerkschaften über ihren Parteischatten springen und im Sinne eines „sozialen Europa“ die Dogmen der EU offen in Frage stellen – wetten dass sie damit mehr erreichen als mit der üblichen Unterwürfigkeit…

© Leo Furtlehner


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